KGH Anwaltskanzlei

Suchtmittelgebrauch

20. März 2025

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Suchtmittelgebrauch Fristlose Kündigung und Arbeitnehmerschutz

Suchtmittelgebrauch: Fristlose Kündigung und Arbeitnehmerschutz

Der Arbeitnehmerschutz ist im Arbeitsrecht fest verankert und dient mitunter dazu, Angestellte vor unberechtigten Entlassungen zu schützen. Mitarbeiter in speziellen Positionen, zum Beispiel Betriebsratsmitglieder, genießen sogar einen besonderen Kündigungsschutz und können nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen gekündigt werden. Doch wie verhält es sich mit dem Kündigungsschutz, wenn schwerwiegende Verstöße vorliegen? In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit einem Fall, der genau dieses Thema aufgreift und jüngst vor dem LAG Niedersachsen verhandelt wurde. 

Wesentliche Fakten: Zusammenfassung

Im folgenden Beitrag erwarten Sie ausführliche Schilderungen dieser Informationen:

  • Das LAG Niedersachsen urteilte im Mai 2024 im Fall einer Kündigungsschutzklage. Der Kläger, ein langjährig im Betrieb beschäftigtes Betriebsratsmitglied, wurde außerordentlich gekündigt, nachdem er beim vermeintlichen Konsum von Kokain am Arbeitsplatz gesichtet wurde. Einen Drogentest lehnte der Mann ab, stattdessen reichte er Klage ein. 
  • Das Gericht bestätigte die Kündigung und begründete das Urteil unter anderem mit der Eindeutigkeit des Verdachtsmoments und der Schwere des Verstoßes, welcher das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gravierend beeinträchtigte. 
  • Der Fall zeigt auf, dass selbst Personen, die einen besonders hohen Kündigungsschutz genießen, außerordentlich gekündigt werden können, sofern schwerwiegende Verstöße zugrunde liegen. 

Aktueller Fall: Kokainkonsum am Arbeitsplatz führt zu außerordentlicher Kündigung

Im Zentrum des vorliegenden Falls mit Urteil aus 2024 steht ein Angestellter einer Logistikfirma. Der Mann gehörte seit 2018 dem Betriebsrat an und befand sich zum Zwecke der Befassung mit Belegschaftsinteressen in Freistellung. Im August 2022 wurde er von einem Betriebsratskollegen dabei gesehen, wie er am Arbeitsplatz weißes Pulver durch die Nase zog. Dem Beobachter gegenüber gab der Mann an, dass es sich bei dem Pulver nicht um eine illegale Substanz handle. Im Gespräch mit dem Vorgesetzten konkretisierte er diese Angabe und behauptete, das Pulver habe lediglich aus Schnupftabak und Traubenzucker bestanden. Später änderte er diese Aussage ab und ließ verlauten, es sei reiner Traubenzucker gewesen. Den Drogentest, den der Arbeitgeber ansetzte, nahm er nicht wahr. 

Eine wichtige Hintergrundinformation zur Einordnung des Szenarios ist in der Gesamtbetriebsvereinbarung (GBV) der Firma zu finden. Diese beinhaltet seit 2015 ein striktes Verbot des Konsums von Alkohol, Drogen und bewusstseinsverändernden Substanzen während der Arbeitszeiten und in den betrieblichen Räumlichkeiten. 

Auf den beobachteten Vorfall folgte eine umgehende Prüfung durch die Personalabteilung, welche parallel den Betriebsrat einbezog, um die fristlose Entlassung des „ertappten“ Angestellten bewilligen zu lassen. Der Betriebsrat stimmte der Kündigung zu, sodass der Angestellte kurz darauf außerordentlich gekündigt werden konnte. 

Diese Entscheidung wollte der nun ehemalige Mitarbeiter nicht akzeptieren. Er klagte gegen die Kündigung und begründete seinen Widerspruch mit diesen Argumenten:

  • Ein einzelner Vorfall des Suchtmittelkonsums genüge nicht für eine fristlose Entlassung
  • Die Eskalationsstufen inklusive Klärungs- und Fürsorgegespräch, welche die GBV vorsehe, wären nicht eingehalten worden
  • Es sei nicht erwiesen, dass das Pulver, welches er konsumiert habe, tatsächlich Kokain gewesen sei
  • Bei der Einholung der Zustimmung des Betriebsrats sei es zu formellen Fehlern gekommen

Der Arbeitgeber reagierte mit einer abermaligen Aussprache der außerordentlichen Kündigung und fand sich schließlich vor dem Landesarbeitsgericht Niedersachen wieder, wo eine gerichtliche Klärung der mittlerweile verhärteten Streitigkeiten stattfinden sollte. 

LAG Niedersachsen urteilt: Fristlose Kündigung wegen Suchtmittelgebrauch gerechtfertigt

Im Urteil des LAG, das im Mai 2024 gefällt wurde, wurde die fristlose Kündigung für rechtsgültig befunden. Das Gericht teilte die Auffassung von Arbeitgeber und Betriebsrat und wies die vorgebrachten Gegenargumente des ehemaligen Mitarbeiters und Betriebsratsmitgliedes entschieden zurück. Dieses Urteil sorgte für Aufsehen, und zwar unter anderem deshalb, weil der Gekündigte aufgrund seiner betriebsinternen Sonderstellung als Betriebsratsmitglied einen besonderen Kündigungsschutz genoss. Welche Schlussfolgerungen sich daraus für Arbeitgeber und Arbeitnehmer ergeben, besprechen wir im weiteren Verlauf dieses Beitrags im Detail.

Details zur Urteilsbegründung

Zunächst möchten wir einen Blick darauf werfen, mit welchen Begründungen das LAG sein klares Urteil untermauerte:

Vorliegen eines dringenden Verdachts

Trotz der Behauptung des Klägers, er habe lediglich Schnupftabak und Traubenzucker beziehungsweise reinen Traubenzucker zu sich genommen, sah das Gericht im vorliegenden Sachverhalt einen dringenden Tatverdacht bezüglich des Kokainkonsums gegeben. Zum einen passte die Art und Weise des Konsums – das Legen des Pulvers zu einer Linie und das Ziehen durch die Nase mittels eines Röhrchens – laut Gericht recht eindeutig zur gängigen Vorgehensweise bei Kokainkonsum. Zum anderen wertete das Gericht die Tatsache, dass der Kläger seine Version der Geschichte abänderte – zunächst sei es ein Schnupftabak-Traubenzucker-Mix, dann reiner Traubenzucker gewesen –, als widersprüchlich und tendenziell belastend. 

Hinzu kam der Umstand, dass der gekündigte Mitarbeiter die Chance gehabt hätte, die Vorwürfe mit dem vom Arbeitgeber angebotenen Drogentest augenblicklich aus der Welt zu schaffen. Eine Chance, die er nicht wahrnahm. Des Weiteren befand das LAG die explizite Nennung des Suchtmittelverbots in der GBV und die naheliegenden Sicherheitsrisiken, die Suchtmittelkonsum innerhalb eines Logistikunternehmens mit sich bringt, als erschwerende Sachverhalte. 

Verhältnismäßigkeit von besonderem Kündigungsschutz und Verstoß

Den vom Kläger angeführten Vorwurf, das Unternehmen hätte die Eskalationsstufen der GBV nicht eingehalten, wies das Gericht mit der Begründung zurück, dass bei solch schwerwiegenden Verstößen eine sofortige Entlassung ohne vorherige Gespräche gerechtfertigt sei. Da es sich bei Kokain um eine „harte Droge“ handele, entspräche das Verhalten des Mitarbeiters einem gravierenden Vertrauensbruch, sodass Ermahnungen und Stufenverfahren nicht eingehalten werden müssen. 

In Sachen Verhältnismäßigkeit ging das LAG zudem auf die Besonderheit des Falls ein, die sich aus der Betriebsratszugehörigkeit des Klägers ergibt. Dieser genieße zwar selbstredend den besonderen Kündigungsschutz, der Schutzstatus könne nach § 15 KSchG i. V. m. § 103 BetrVG bei Zustimmung des Betriebsratsgremiums jedoch entkräftet werden. Diese Zustimmung war im vorliegenden Fall gegeben, zumal das Gericht keine formellen Fehler, wie sie der Kläger vermutet hatte, feststellen konnte. 

Nichtigkeit der zweiten Kündigung

Die zweite Kündigung, die der Arbeitgeber inmitten des Konflikts vor der Verhandlung ausgesprochen hatte, und die zugehörige Kündigungsschutzklage wurden vom Gericht als nichtig eingestuft. Der Grund: Bereits die erste außerordentliche Kündigung war gültig gewesen, sodass der zweiten keine Bedeutung mehr beizumessen war. 

Schlussfolgernde Hinweise für Arbeitnehmer

Der aktuelle, ausführlich besprochene Fall mit Urteil vom Mai 2024 beinhaltet zahlreiche Schlussfolgerungen und Hinweise für Arbeitnehmer, die wir nachfolgend zusammenfassen möchten:

  • Besonderer Kündigungsschutz kennt Grenzen: Auch wenn Betriebsratsmitglieder einen besonderen Kündigungsschutz genießen, ist dieser nicht unantastbar. So kann es, genau wie im vorliegenden Fall, durchaus trotz Betriebsratszugehörigkeit und einem langjährigen Anstellungsverhältnis zu außerordentlichen Entlassungen kommen. 
  • Vertrauensverhältnis als wertvolles Gut: Das Gericht betonte den negativen Einfluss auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, das durch den Suchtmittelkonsum am Arbeitsplatz nachhaltig geschädigt wurde. Dies verdeutlicht nochmals die weitreichende Bedeutung des Vertrauens in Arbeitsverhältnissen. 
  • Unkooperatives, langsames Handeln erschwert Verdachtsmoment: Der Fall legt den Rat nahe, sich bei einem bestehenden Verdacht kooperativ zu zeigen und möglichst zügig darum zu bemühen, die Vorwürfe stichhaltig zu entkräften. Entsprechend kann es etwa sinnvoll sein, sich einem Drogentest zu unterziehen, auch wenn man rein gesetzlich selbstverständlich nicht dazu verpflichtet ist. 

Rückschlüsse für Arbeitgeber

Genau wie für Arbeitnehmer, hält der abgehandelte Fall auch für die Arbeitgeberseite einige Lektionen bereit:

  • Suchtmittelvereinbarung schafft (Rechts-)Sicherheit: Die Suchtmittelvereinbarung in der GBV hat die Urteilsfindung im vorliegenden Fall maßgeblich vereinfacht. Es empfiehlt sich für jedes Unternehmen, klare Regelungen in Bezug auf den Alkohol- und Drogenkonsum zu verfassen und sicherzustellen, dass alle Angestellten damit vertraut sind. Diese Maßnahme schafft Rechtssicherheit und kann nebenbei eine präventive Wirkung entfalten. 
  • Wichtigkeit der Betriebsratszustimmung: Zur außerordentlichen Kündigung besonders geschützter Angestellter ist ein Betriebsratsbeschluss zwingend notwendig. Die Einholung der Zustimmung sollte penibel den formellen Vorschriften folgen und gut dokumentiert werden. 
  • Vorfälle müssen sorgfältig und zeitnah geprüft werden: Sobald der Arbeitgeber Kenntnis von einem Verstoß erhält, muss er im Sinne der zweiwöchigen Frist bei außerordentlichen Kündigungen umgehend aktiv werden. Er muss dem Angestellten die Möglichkeit geben, Stellung zu beziehen, die genauen Umstände ermitteln und den Betriebsrat ins Boot holen. 

Fazit: Schwere Verstöße können außerordentliche Kündigungen trotz hohem Kündigungsschutz rechtfertigen

Der besprochene Fall zeigt einmal mehr, dass der Arbeitnehmerschutz – so hoch er auch gehalten wird – gerichtlich im Verhältnis zur jeweiligen Situation bewertet wird. Liegt ein entsprechend schwerer Verstoß vor, kann demnach selbst eine Person mit besonderem Kündigungsschutz außerordentlich gekündigt werden. 

Die Fachanwälte der Kanzlei KGH sind auf dem weiten Feld des Arbeitsrechts zuhause und stehen sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern mit Rat und Tat zur Seite. Sollten Sie ein Anliegen rund um Kündigungen, Arbeitsverträge, den Arbeitnehmerschutz, Kündigungsschutzklagen oder andere arbeitsrechtliche Themen haben, freuen wir uns darauf, Sie mit unserer Expertise zu unterstützen. 

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Oliver Stigler

Fachanwalt für Familienrecht und gewerblichen Rechtsschutz, ist ein Anwalt bei KGH in Nürnberg. Auf dem Blog von kgh.de teilt er sein umfangreiches Fachwissen und bietet wertvolle Einblicke in rechtliche Themen. Vertrauen Sie auf seine Expertise und lassen Sie sich von seinen Beiträgen inspirieren.

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